Kroatien 2015

Wenn man Abends am Feuer sitzt und sich über vergangene Fahrten unterhält, kommt man unweigerlich irgendwann in eine leicht nostalgische Grundstimmung und schnell fallen Worte wie „wir müssten mal wieder nach “ oder „ohne wären wir viel weiter gekommen, das nächste Mal müssen wir viel härter rangehen, dann schaffen wir den kompletten Weg“. Normalerweise ist das alles nichts als Gewäsch mit Beleuchtung durch ein Lagerfeuer. Spätestens am nächsten Tag beginnen die Vorsätze Stück für Stück in Richtung vergessen zu driften. Der eine oder andere kennt das ja von Neujahr.
Nun, so hätte auch diese Geschichte enden können, nichts als ein halbherzig geäußerter, nicht wirklich ernst gemeinter Vorsatz vor irgendeinem Lagerfeuer. Lasst mich Euch auf eine kleine Reise mitnehmen, die einst an einem kleinen Lagerfeuer begann und sich zu einer derart legendären Fahrt entwickelte, dass ganze Pullover aus dem Seemannsgarn, dass auf der Fahrt entstand, gestrickt werden können (Harrrrrrrrrrrrr Harrrrrrrrrrrrrrrrr).
Der Anfang ist schnell erzählt: Im Spätherbst 2014 entschlossen wir uns für Ostern 2015 eine Großfahrt zu planen und beschäftigten uns mit möglichen Zielen. Schnell wurde klar, dass eine Schneetour ohne relativ teuren Flug kaum möglich war, also blieben noch Kanu- oder Fahrradtour. Lange beschäftigten wir uns mit der Soca in Slowenien. Gut erreichbar gelegen, wunderschön, aber leider auf dem Wasser nicht wirklich Fahrten- und Anfängertauglich. Eine Fahrradtour in der Region bot sich an, genauso wie die letzten paar hundert Kilometer des Jakobswegs per Drahtesel. Der Jakobsweg war uns deutlich zu Mainstream und der Transport zu teuer. Die Wege um die Soca waren uns entweder zu fordernd um sie mit Gepäck zu fahren oder es war fast nur Straße – kurzum, irgendwie war es das alles nicht so recht. Dann fanden wir es: UNSER ZIEL – lange schon hatte es direkt vor unserer Nase gelegen, mehrmals war ich selbst auf der Seite des Anbieters, doch immer auf der Suche nach einem Fluss, einer Fahrradroute oder Ähnlichem. Wir entschieden uns, dass eine Woche Seekajak exakt das Richtige für uns wäre – und so trafen wir unsere Vorbereitungen.
Im Laufe der nächsten Monate spamten wir den Vermieter der Kajaks zu, besorgten Equipment, machten unsere Kameras wasserfest und freuten uns wie 4-Jährige vor Weihnachten auf den Tag, an dem es endlich losgehen sollte. Zügig stand auch die Fahrtengruppe fest: Björn, Flo, Matle, Rambo und ich sollten es werden – bei 5 Leuten war die Anreiseart auch sehr schnell festgelegt: es würde gemütlich in einem Auto in den fernen Süd-Osten gehen.

Tag 1 – 2 Schnitzel, 2 Frikadellen und eine Rehpfote

Schnell wurde der Passat in einen 80er Ford Transit verwandelt und jeder Kubikmillimeter Raum ausgenutzt. Damit wir zu anständigen Zeiten in Split ankommen konnten, starteten wir etwas früher als sonst – so früh, dass uns noch das eine oder andere bekannte Gesicht entgegenkam, das gerade eine Pause (ja, eine Pause…) von der Abschlussfeier der Sophie-Scholl machte. Einmal im Auto fand jeder seinen Weg sich mit der mangelnden Privatsphäre abzufinden: Rambo wechselte binnen Sekunden in eine Art Opossum-Modus (= sich tot stellen und stinken) und wachte nur zu Fütterungszeiten auf. Flo rettete seine Beine nach vorne und saß einen erstaunlich großen Anteil der Strecke eingequetscht zwischen Björn und dem Rambopossum mit den Füßen quer über die Armlehne und dennoch knapp über dem Schalthebel hinten in der Mitte – man muss es gesehen haben. Auch Björn wechselte schnell in den Winterschlaf-Modus, Matle hingegen blühte förmlich auf, während er höflichst die Fahrweise fremder Autos kommentierte. Generell erfreuten wir uns glänzender Umgangsformen, vor allem der erste Tankstopp in Passau prägte uns: Malte fragte höflichst bei einem Schnitzelchen auf Brötchen (um 7:00 Uhr Morgens) nach unserer Position und freute sich, dass er die Nähe zu Österreich bereits an der sehr zuvorkommenden jungen Dame an der Kasse erkannt hatte. Er bedankte sich mehrfach für das herzliche Willkommen im Alpenstaat (auch wenn das noch gut 50 km zu früh kam). Es ist einfach wichtig, sich seine Mitfahrer für eine derart lange Fahrt gut auszusuchen, sonst droht binnen kurzer Zeit eine gewisse Verrohung des Umgangstones – bei uns war das kein Problem. Die Durchquerung unseres direkten Nachbarstaates verlief absolut reibungslos, erst in Slowenien wurde es etwas zäh – weil man hier zwar fürstliche Autobahnmaut erhoben hatte, aber die Autobahn in weiten Teilen noch gar nicht gebaut war. Um unsere leicht getrübte Stimmung nach Verlassen der Autobahn ein wenig zu erhellen, demonstrierte uns Matle seine Art von defensivem Fahren – und das vom Beifahrersitz aus. Wie in einem Nebensatz eröffnete er uns dabei seine starken Verlustängste – zumindest im Bezug auf seine Nieren. Aber damit nicht genug – er eröffnete uns auch (kurz vor Verlassen des „Schengen-Raumes“), dass er seine Rehpfote vom Meißner dabei hatte. Naja, wenn uns ein Zöllner fragen sollte, warum wir eine miserabel getrocknete Rehpfote mit uns führten, hätten wir ihm zumindest ein HighTwo anbieten können… Erstaunlicher Weise kamen wir aber ungefragt und mit (Teilen von) Bambi über die Grenze. In Kroatien entschied man, dass wir deutlich zu gut durchgekommen waren und sperrte kurzerhand die Autobahn. Wir wurschtelten uns trotz ordentlichem Sturm und Tempo 60 durch und kamen schließlich endlich nach Split. Kaum angekommen erwachte auch das Rambopossum wieder zum Leben. Es prägte sich der Leitsatz: „Wie lange dauert es nach Kroatien zu fahren? – 2 Schnitzel und 2 Frikadellen“ – ich bin fest davon überzeugt , dass Rambo nicht mehr von der Hinfahrt mitbekommen hat, als eben diese, seine Futterrationen.
Am Abend gab es sowohl ein kurzes Briefing als auch den ersten Dämpfer: der Wind, der uns durch ganz Kroatien von der Straße wehen wollte, hatte es weiterhin auf uns abgesehen, am nächsten Morgen würden wir wohl erstmal nicht starten.


Tag 2 – Der Untergang

Schon sehr früh scharrten wir mit den Hufen – die See rief nach uns. Allerdings war es derart stürmisch, dass wir bereits alle Hoffnung auf einen planmäßigen Start aufgaben. Der Wetterbericht kündigte gegen Nachmittag eine deutliche Entspannung an, also nutzten wir den Morgen um uns Split anzusehen, Türme zu erklimmen und unser Angelequipment zu vervollständigen. Gegen Mittag flaute es tatsächlich ab und wir konnten damit beginnen unsere Boote zu beladen und langsam unsere ersten Erfahrungen mit dem Mittelmeer zu machen. Schnell rächte sich die Kombination aus falscher Beladung, falscher Bootswahl, dem ersten Kontakt mit Well(ch)en und einer Menge persönlichem Unvermögen. Das Meer griff nach mir und wollte mich auch nicht mehr loslassen – wenigstens konnte ich aber so den Ausstieg aus dem Kajak üben, eine kontrolliertere Übung wäre mir aber deutlich lieber gewesen. Ein kurzer Landgang, ein Bootswechsel und ein paar Übungen in der recht gut geschützten Bucht später, ging es deutlich entspannter wieder zur See. Da es schon recht spät war, nahmen wir uns vor die Bucht von Split zu verlassen und ein Lager auf Otok Ciovo, der gegenüberliegenden Insel, zu suchen.
Die Querung war bis grob zur Hälfte recht problemlos, erst nach ca. 1,5 km kam starker Wind auf, der in die Bucht, also quer zu uns, drückte. Eine unfachmännisch ausgeführte Wendung und schlechte Technik in einem Wellental später griff die See erneut nach mir – ein wundervolles Erlebnis, irgendwie war das Wasser hier trotz Neopren, Schwimmweste und all dem restlichen Kram doch deutlich kälter als erwartet. Es kostete mich gefühlte 15 Minuten um im Robbe-am-Strand-Stil langsam über das Heck des frisch gelenzten Kajaks zu „klettern“. Der Einstieg war eine derartige Zitterpartie, dass ich überhaupt nicht mitbekam, dass sich die See bereits den nächsten geholt hatte – auch Flo suchte nach Fischen. Ich war mittlerweile wieder im Boot und unser Guide machte sich auf zur Rettung des Nächsten. Die nächsten Minuten konzentrierte ich mich darauf nicht noch weitere Flüssigkeit ins Kajak zu bekommen und balancierte in „Ey-Mittelmeer-lass-mich-in-Ruhe“-Art weniger paddelnd als eher dümpelnd durch die Strömung in Richtung Insel. Im Augenwinkel nahm ich ein Boot wahr, das mit ordentlich Fahrt in die Bucht kam. „Was ein Pfosten … sieht der uns nicht … warum macht der noch mehr Wellen“ und ähnliches, weniger freundliches, ging mir durch den Kopf – zumindest bis ich ein großes „Policia“ auf der Seite des Bootes prangen sah. Dann dachte ich nur noch „lass mich in Ruhe und fahr langsamer“ während ich mich am Heck des Bootes vorbeistahl. In der Zwischenzeit war Flo wieder im Boot, Björn hatte aber die Gelegenheit für ein Bad genutzt. Es gab einen leichten Disput zwischen Guide und Polizei, die scheinbar nicht sehr erbaut darüber waren, dass sie gerufen wurden um uns zu retten, aber auch nicht so tatendurstig waren, dass sie tatsächlich etwas anderes gemacht hätten als auf kroatisch Unflätigkeiten auszutauschen und mehr Wellen in eine Bucht zu bringen, in der für meine Verhältnisse schon deutlich zu viele waren. Viel verstanden wir nicht von den Wortwechseln, für uns klang es als drohten beide Parteien den Müttern Ihres Gegenübers, aber das lag mit Sicherheit nur an unseren mangelnden Kenntnissen der kroatischen Sprache, mit Sicherheit…
Nun ja, während unser erstes Süppchen dieser Großfahrt auf dem Hobo-Ofen vor sich hin köchelte, nutzen wir die Gelegenheit um dem Guide einen kleinen Einblick in unsere Welt zu geben:
Wind peitsche durch die Ruine, in der wir uns eingenistet hatten, selbst die vollgesogenen Neoprenanzüge drohten wegzufliegen. Sprechen war nahezu sinnlos – man musste sich anschreien. Wir breiteten unsere Ponchos aus, legten die Isomatten und Schlafsäcke aus und beschwerten sie mit den Teilen unseres Gepäcks, dass auch außen trocken geblieben war, ansonsten hätten wir sie aus der Bucht fischen müssen. Dražen, unser Guide scharrte mit den Füßen, er schien auf etwas zu warten, aber sich nicht recht zu trauen zu fragen.
Rambo zu Dražen: „It will stay dry, so we won’t put up our tent.“
Unglauben, verzweifelte Suche nach Ironie in den Worten, Erkenntnis… Dražen: „You… hmm… when do you put up your tent“ – Eine Böe machte jede Kommunikation für mehrere Minuten unmöglich – Rambo: „Not in such weather conditions“ – Böe – Dražen: Resigniertes Schweigen.
Nachdem wir sahen, wie Dražen in Fleece, Hose und eigentlich allem was er hatte in den Schlafsack steuerte, nutzten wir unsere Kohtenbahnen, um ihm etwas Wärme und Windschutz zu spenden – ich glaube der durchschnittliche Kroate hat ein anderes Temperaturempfinden als wir…


Tag 3 – Dražen geht nur, wenn wir trocken bleiben

Wir packten unsere Kajaks und starteten im Schutz der Insel in Richtung Südseite der Insel, von der aus es weiter auf die nächsten Inseln gehen sollte. Schnell machte uns Gevatter Wind erneut einen Strich durch die Rechnung und wir entschieden uns umzukehren und stattdessen im Schutz der Insel auf deren Nordseite weiter zu fahren. Ich konzentrierte mich darauf zu überleben und diesmal auf der Wasseroberfläche zu bleiben. Dražen war unsere Badequote zu hoch und er organisierte schon fleißig einen Ersatz-Begleiter für die Woche. Die ganze Zeit begleitet zu werden hätte für uns das Ende des Fahrtencharakters bedeutet, auch die Sprachbarriere nervte schon ordentlich. Auch wenn wir uns vorgenommen hatten die ersten Tage nur Englisch miteinander zu reden, um Dražen nicht auszugrenzen, hielten wir das Ganze kaum durch – kurzum wir mussten uns benehmen, damit wir – wie geplant – alleine weiterkonnten. Und wenn wir eins können, dann ist es uns benehmen!
Auf dem Weg an der Nordseite der Insel entlang hielten wir auf ein Schiffswrack zu, das von einem Frühjahrssturm sanft aus dem Kilometer entfernten Hafen von Split getragen wurde und weniger sanft mitten an einem Strand abgelegt wurde (wahrscheinlich um die Grundstückspreise zu ruinieren). Dort angekommen genossen wir den Strand – von Baden hatten wir noch immer genug – und stärkten uns mit Flo’s selbstgemachten Müsliriegeln – es gab einen Grund warum wir ihn bei Dražen als „Mom“ vorgestellt hatten, ich kann mich nur nicht mehr erinnern warum.
Kurz nach dem Ablegen sahen wir noch eine Gruppe Delfine, die in mäßiger Entfernung zu uns vorbeischwammen. Wahrscheinlich wurden Sie angelockt von Gerüchten, dass hier ziemlich fette Brocken Fleisch ins Wasser fallen würden – wir aber mussten weiter hart daran arbeiten, diese Gerüchte Lügen zu strafen. Auf den letzten Kilometern zu unserem Schlafplatz griff erneut der Wind nach uns und wehte uns ausgerechnet bei einer recht langen Querung hin zum Festland sehr stark entgegen – stark genug um uns fleißig auf der Stelle paddeln zu lassen. Ich war nach den Bade-Erlebnissen des Vortages noch derart damit beschäftigt zu überleben, dass ich „so meine Schwierigkeiten“ hatte ans gegenüberliegende Ufer zu gelangen. Ich würde jetzt gern sagen, dass an Aufgeben natürlich nicht zu denken war, aber ich glaube ich beschäftigte mich wahrscheinlich bei jeden 2. Paddelschlag mit dem Weg zurück. Letztlich gewann eher mein Stolz als mein Mut und ich kam tatsächlich am Festland an. Columbus kann nicht glücklicher gewesen sein – nur dass er in der Karibik und nicht an einem Hundestrand gelandet war.
Als Dražen sah, dass wir uns erneut aufmachten ohne Zelt zu schlafen ergriff er die Flucht nach vorn und kündigte an, dass wir definitiv bereit waren, ab jetzt alleine weiter zu fahren – den hatten wir wohl geschafft. Uns freute das, auch wenn jetzt der erfahrende Kenterhelfer das Weite suchte.
Bis zum Einbruch der Dunkelheit versuchten wir unser sehr erfolgloses Angelglück während Flo erst das obligatorische Süppchen und anschließend das komplette Abendessen vorbereitete. Nach einem langen, trockenen aber auch ziemlich anstrengenden Tag verkrochen wir uns in unsere Schlafsäcke.


Tag 4 – Mittelalterliche Stadtrundfahrt und Olivenhain

Unser Schlafplatz lag perfekt in der Einflugschneise des Flughafens von Split, sodass wir von sanft hereinschwebenden Flugzeugen auf Kopfhöhe geweckt wurden. Aus dem Schlafsack heraus fühlte es sich an, als müsse man nur den Arm ausstrecken um das Fahrwerk zu berühren – ich möchte nie wieder anders schlafen.
Das Wetter war vielversprechend: windig, kalt und ziemlich zugezogen – als guter alter Remscheider fragte man sich die ganze Zeit wann es anfangen würde zu regnen. Der Regen blieb zwar aus, der Wind wühlte die Bucht aber ordentlich auf und trug uns rasend schnell nach Trogir, wo wir einen kurzen Einkaufsstopp einlegten, bevor wir weiterfuhren. Das Ablegen vom Strand nach dem Einkaufstopp war eine echte Herausforderung, dafür konnte man sich ab dann aber vom Wind gemütlich durch die Brücke in den Hafen von Trogir treiben lassen. Eine Stadtrundfahrt um das sehr schöne mittelalterliche Stadtzentrum ließen wir uns allerdings auch nicht nehmen, nur um bei der Ausfahrt aus den Kanälen von einer wütenden Strömung empfangen zu werden. Nach der Passage der Brücke des Hafens konnten wir uns aber wieder gemütlich treiben lassen und uns für die nächste Querung vorbereiten. Dražen hatte uns einen schönen und windgeschützten Weg empfohlen, schön entlang der Küstenlinie. Papperlapapp – das war ein unnötiger Umweg, die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten ist eine Gerade! Auch in Kroatien! Wir entschieden uns also gerade aus auf das Kapp der Insel zuzuhalten – die See rief schließlich! Und wieder ging die erste Hälfte der Reise sehr gut und gemütlich. Als die Kräfte langsam angenagt waren, witterte der Wind eine Chance, die wir ihm am Mittag verwehrt hatten. Doch diesmal bekam er uns nicht – er schüttelte an uns, versuchte uns zu ermüden, doch nicht mit uns! Wir passierten vollständig überirdisch das Kapp der Insel und wandten uns entlang der Insel nach Süd-Ost. Kurz nach dem Kap begegneten wir einem ziemlich großen Fisch, der unter uns durchschwamm – er war etwas kleiner als ein Pottwal, vergaß aber sich vorzustellen, ich tippe immer noch auf eine kleinere Thunfisch-Art. Kurz danach versuchte ein Schwärmchen Mini-Fische nach Matle zu schnappen – kurz hinter seinem Kajak sprangen sie todesmutig aus den Wellen, zum Glück für sie verfehlten sie ihn und er bekam noch nicht einmal etwas davon mit – er hätte sie sonst wahrscheinlich alle einzeln in Notwehr abgestochen.
In einer sehr schönen Bucht machten wir einen spätnachmittäglichen Zwischenstopp, bevor wir uns schlussendlich zu unserem auf unserer Karte vermerkten Schlafplatz aufmachten. An dem Schlafplatz angekommen – im Frühjahr der einzige eingezeichnete Schlafplatz innerhalb der nächsten 10-15 Kilometer – merkten wir, dass jemand genau da gerade sein Haus baute. Etwas mehr als eine Bucht weiter fanden wir aber den genialsten Schlafplatz der Fahrt: in einem kleinen verlassenen Olivenhain stand ein schrottiges kleines Steinhüttchen, ein knorriger alter Olivenbaum stand daneben – darunter 5 wundervolle Schlafplätze mit einer Traum-Aussicht am Abend und dem herrlichsten Blick am Morgen. Abends grillten wir uns ein paar Würstchen direkt am Steinstrand und waren dankbar dafür, dass jemand sich entschieden hatte an dem alten Schlafplatz sein Haus zu bauen.


Tag 5 – die perfekte Welle

Am Morgen erwachten wir erneut an dieser Traum-Kulisse, selbst die Sonne lachte uns entgegen – woher die uns Remscheider wohl kannte? Mittlerweile hatten wir unser Gepäck, das Verstauen im Kajak und das Wassern so gut unter Kontrolle, dass wir deutlich schneller in See stechen konnten. Heute wagten wir den großen Sprung nach Otok Drvenik Veli – vorbei an mehreren kleinen Inseln paddelten wir in Richtung Süd-West. Zwischen den Inselchen konnten wir jeweils im Wind- und Wellenschatten etwas ruhen, bevor es weiterging. In wenigen Hops erreichten wir das Ost-Ufer der Insel und schipperten gemütlich gen Süden – der Wellengang wurde schon etwas höher. Gegen Nachmittag machten wir an der ersten Stelle, an der ein Anlegen möglich war ein Päuschen. Die Mini-Insel war derart voll mit Müll, das Laufen nahezu unmöglich war, nur ein Plätzchen unter einem Baum war halbwegs frei von Müll, sodass wir uns zu einem Müsliriegel und einem Stück Speck niederlassen konnten. Nach einer kurzen Pause ging es weiter. Erneut witterte die See ihre Chance und griff nach uns: war die See schon vormittags etwas rauer, so wurde sie an der sehr offen liegenden Südseite sehr ordentlich. Zwar bewegten wir uns an der Küstenlinie, die war aber keine echte Hilfe – ein Anlegen war hier nicht möglich, selbst ein Herausklettern war hier nicht drin. Wind und Wellen spielten mit uns – Ich hatte den nicht sonderlich kleinen Matle vor mir im Boot und sah abwechselnd den ganzen Kerl samt Boot oder nur sein Cap hinter der Welle. Die eine oder andere Welle brach auch an uns, aber wir hatten die Boote mittlerweile so gut im Griff, dass wir alle zwar oberirdisch aber dank der einen oder anderen Welle dennoch ordentlich nass ankamen. In der Zielbucht war dann auch die erste echte Möglichkeit das Kajak an Land zu bringen. Leider war auch diese Bucht so dermaßen voll Müll, dass wir ernsthafte Probleme hatten einen Schlafplatz und vor allem eine sichere Route dort hin zu finden. Weiterfahren war keine echte Option – der Wind nahm zu und auch der Tag ging schon bald zu Ende. Ca. 200 Meter vom Strand war ein Fleckchen, dass genug Raum für uns bot um unsere Schlafsäcke auszubreiten. Die Kothe nutzten wir eher als Windschott, da der Wind immer noch ordentlich in die Bucht drückte und ihm auch der Hügel, hinter dem wir lagerten, ziemlich egal war.
Als wir am Abend den obligatorischen „Wir sind sowohl am Leben als auch trocken geblieben“-Anruf bei Dražen erledigt hatten, bekamen wir bereits die Nachricht, dass für den nächsten Tag sehr schlechtes Wetter angekündigt war und wir wahrscheinlich vor Ort bleiben müssten.


Tag 6 – Hepatitis Bay

Am nächsten Morgen bestätigte sich, was wir schon befürchtet hatten – unser herrlicher Lagerplatz sollte uns auch für eine weitere Nacht beherbergen. Wo ist nur ein Olivenhain, wenn man ihn braucht? Wir nutzten den Tag zum Einkaufen und vor allem um unsere Wasservorräte aufzufüllen. Leider war der einzige „Shop“ der Insel auf der anderen Seite – im einzigen Örtchen. Kaum waren wir angekommen, stellten wir fest, dass der Shop nicht nur die ungefähre Größe einer Telefonzelle hatte, sondern sich auch gerade in eine mehrstündige Pause verzogen hatte. Wir teilten uns auf und Matle und ich stiefelten den kompletten Weg zurück um den einen oder anderen Fisch in unserer Bucht zu jagen – mehrere Generationen von Fischen werden sich noch über diesen Versuch die Mäuler zerreißen… außer Steinen biss erneut nichts an. Der angekündigte Starkregen entlud sich nicht über der Insel, sodass wir die Kothe rund um unser Material komplett umsonst aufgebaut hatten. Der begleitende Sturm war aber stark genug um uns zu überzeugen, dass die Übernachtung in der von uns mittlerweile als „Hepatitis Bay“ bezeichneten Bucht doch der sicherere Ansatz war. Wir improvisierten einen Grill aus einem verrosteten Grillrost, dem inneren Teil einer alten Stahlfelge und einigen großen Steinen – und unser Maschinenbauer konnte sich an der Konstruktion eines Kamins üben. In „Improvisation aus achtlos weggeworfenem Zivilisationsmüll“ macht uns so schnell niemand etwas vor. Gruselig, was alles durch unsere Meere treibt.


Tag 7 – Wow, so geht das?

Am nächsten Tag klarte das Wetter deutlich auf, wir wagten den größten Sprung unserer Tour – auf nach Solta! Die Querung zwischen den beiden Inseln war auf der Hälfte komplett schutzlos der Adria zugewandt und ohne eine Insel in der Mitte, eine Querung dieser grob 5 km am Tag zuvor wäre nahezu undenkbar gewesen. Wir starteten sehr früh und legten die Strecke zur nächsten Insel in recht kurzer Zeit zurück. Im Schatten der Insel angekommen, ließen wir es etwas ruhiger angehen und erkundeten kleine Buchten, Abbruchstellen und alles, was sich uns in den Weg stellte. Recht zügig merkte ich, dass ich tatsächlich bis zum letzten Tag gebraucht hatte, um die Rudertechnik so zu meistern, dass ich tatsächlich begann effizient zu paddeln und noch genug Reserven für den einen oder anderen Extrakilometer zu haben. Tja, sobald man sich nicht mehr krampfhaft auf das pure Überleben konzentriert bleibt eine Menge Potenzial zum Lernen.
Nach einigen Erkundungstouren fielen wir schließlich in eine Bucht neben Rogac ein. Die Bucht war wirklich nett, wir wurden außerdem bereits musikalisch erwartet, ein junger Mann mit Gitarre übte gerade vor einer Schaar Groupies ein neues Lied ein – ich kann heute die Strophe, die er immer wieder spielte, noch heute. Während wir gerade den Beziehungsstatus der anderen Gruppe verstehen wollten, merkten wir, dass die vier Österreicher waren. Also – etwas langsamer sprechen und die Sprachbarriere ist überwunden. Die vier verbrachten ihren Urlaub in Split und waren für einen Tag mit exakt der Fähre gekommen, die auch uns morgen nach Split bringen sollte. Da die vier nicht in die Bucht geschwommen waren, konnten sie uns außerdem den Landweg zur Fähre erklären, wie praktisch.
Wir versuchten erneut unser Glück mit der heimischen Fischpopulation und ernteten! Zumindest Gelächter… Nach einem fürstlichen Mahl legten wir uns schlafen, auch diesmal verzichteten wir auf Zelt oder Unterstand. Über Nacht zog ein nettes kleines Windchen auf, dass uns ordentlich durchschüttelte, aber Gepäck und Boote waren gut gesichert und nichts verselbstständigte sich.


Tag 8 – Carry me home

Am nächsten Morgen war an den Seeweg nicht zu denken – Wind peitschte derart in die Bucht, dass wir uns entschieden den Landweg zu wählen. Also: 5 Mann, Gepäck, 5x5m Kajak, das klang nach Spaß. Auf dem ersten Gang nahmen wir sämtliches Gepäck mit, ließen anschließend einen von uns am Anleger zurück und holten die ersten beiden Boote, danach Gang für Gang ein weiteres Boot, bis wir mit Mann und Maus an der Fähre standen. Die Zeit erlaubte uns auch noch eine kalte Erfrischung – die erste ihrer Art nach über einer Woche Fahrt – die Zivilisation hatte uns wieder. Wir genossen die recht lange Überfahrt in den Hafen von Split, während unsere Kajaks gemütlich auf dem Autodeck geparkt waren. Die Überfahrt als solche war ein echter Schnapp – unsere Kajaks wurden als Fahrrad berechnet und der Fußpassagier zahlt so gut wie nichts, allein das Ausladen in Split war etwas stressig, weil die Hafenbedingungen das Rangieren mit den 5m-Booten zwischen ein- und ausfahrenden Autos nicht wirklich prickelnd machen. Dražen erwartete uns bereits und wir machten uns daran die Kajaks auf und unser Gepäck in Dražen’s Transporter zu laden. Binnen kürzester Zeit hatten wir unser Auto wieder und konnten es beladen und erneut zu unserer ersten Unterkunft fahren, die wir tags zuvor noch hektisch gebucht hatten.
Eine Dusche später zogen wir durch das abendliche Split und konnten uns auch ein Abschluss-Essen in einem anständigen Restaurant nicht entgehen lassen. Dražen gab uns zum Abschied noch den Tipp für das Restaurant – eine grandiose Idee! Gut gestärkt deckten wir uns noch mit Lebensmittel für die bevorstehende Rückfahrt ein und legten uns recht früh ins Bett, damit wir am nächsten Tag zu nachtschlafender Zeit durchstarten konnten.


Tag 9 – Zurück!

Sehr früh am Morgen machten wir uns erst auf ein paar frische Brote zu kaufen, und anschließend wieder in Richtung Heimat. Die Rückfahrt begann ähnlich wie bereits die Hinfahrt – mein Beifahrer beglückwünschte andere Verkehrsteilnehmer zu ihrer Fahrweise und in Ermangelung anderer Fahrzeuge (kroatische Autobahnen sind für unsere Verhältnisse unglaublich leer) auch über die Bauarbeiten an Autobahnabschnitten und ähnlichem. Auch die Entertainment-Funktion der Rehpfote darf man nicht unterschätzen. Sowohl das Rambopossum als auch Björn dümpelten nahezu mit dem Starten des Motors weg, nur Flo starrte auf die dunkle Straße vor uns und bemühte sich um Konversation.
Nach einigen Kilometern steuerten wir auf Slowenien zu, zückten unsere Ausweise und fuhren frohen Mutes auf die Grenzkontrollen zu. Ein leicht gelangweilter Zöllner winkte uns an die Seite und schob einen kleinen Wagen hinter den Passat. Er „bat“ uns den Kofferraum auf den Tisch zu entleeren. Meine Motivation das zu tun war nicht wirklich groß und auch keiner der Mitfahrer sah sich wirklich berufen, also öffnete ich die Heckklappe und erntete ungläubige Blicke – der Kofferraum des Passats war komplett gefüllt mit Seesäcken, unseren Daypacks usw., deutlich schlechter gepackt als noch auf der Hinfahrt. Da wir den Großteil des Autos auf dem Parkplatz bei Dražen gepackt hatten, hatte ich sogar einen der Leih-Seesäcke, den ich (natürlich) für Schmutzwäsche benutzt hatte, komplett in den doppelten Unterboden des Autos gekippt – „das räum ich in Remscheid auf“ – Pustekuchen, das räumste jetzt auf… Was für den Zöllner wie ein netter Zeitvertreib aussah, stellte sich schnell als dumme Idee heraus, das konnte man deutlich in seinem Gesicht lesen.
Allerdings konnte er uns auch nicht so gehen lassen, er begnügte sich also mit einer Taschen- und Ablagekontrolle. Zuerst wollte er alle Ablagen sehen und ich machte ihn brav auf mein Fahrtenmesser in der Ablage aufmerksam. Danach hatte er Lunte gerochen „wer hat noch ein Messer“ – „Wir haben alle eins“ – eine dreiste Lüge, ich möchte gar nicht wissen, wie viele Messer zumindest einer von uns mithatte –  „bitte zeigen“ – Jeder zeigte ein Messer und wurde nicht hinterfragt. Daraufhin untersuchte Mr. Zoll Handschuhfach, alle Ablagen und das Deckelfach des Rucksacks in dem Bambi seinen Fuß vergessen hatte – und weiß Gott was da noch drin war. Ich hatte NULL Lust zu erklären warum wir geringe, aber unverzehrbare Anteile eines Rehs mit auf eine knapp 3000 Kilometer lange Reise nehmen, aber Mr. Zoll beließ es bei dem Deckelfach und griff nicht nach Bambi’s Fuß. Nun sollten wir unsere Taschen entleeren und langsam dämmerte mir was hier gespielt wurde: Nachdem wir all unseren Kram auf den Wagen geworfen hatten hatte der Zöllner sowohl seine Glanzstunde des Tages als auch die Enttäuschung des Tages:
Er durchsuchte auch unsere Brusttaschen und fand bei Flo eine Tüte mit Krumen – kurz sah er eine fette Beförderung auf sich zukommen, als sich die vermeindliche Drogen-Tüte plötzlich in eine mitgenommene Brotverpackung (oh ja, wir lassen unseren Müll nicht liegen, Herr Zöllner) verwandelte sah der Kollege plötzlich aus, wie ein Kind, dem man den Lolli geklaut hat. Ich weiß nicht, wie 5 Pfadfinder in eine Drogenkontrolle geraten können, aber wir haben es geschafft. Ich weiß auch nicht in welcher Welt man als Zöllner wirklich erwarten kann dann auch noch etwas (außer Rehpfoten und andere verstörende Dinge) zu finden, aber auf der anderen Seite will ich eigentlich gar nicht wissen, was die Jungs vom Zoll jeden Tag erleben. Nach langer und ausgiebiger Prüfung unserer Personalausweise – wir waren den Kollegen echt nicht geheuer – ließ man uns dann tatsächlich fahren, ohne dass wir den Kofferraum ausräumen mussten. Jippie!
Nachdem ich wenige Meter nach der Grenze meine Vermutung über den Zweck der Kontrolle äußerte und zeitgleich meinen Unmut darüber kundtat, dass ich kaum, dass ich mit einer Meute von vier abgewrackten Typen unterwegs bin, voll ins Raster einer potenziellen Drogenkontrolle geraten bin. Diese hämischen Worte blieben vom Universum nicht ungehört – keine 500 Meter nach der Grenze winkte uns eine rote Kelle vom Zoll entgegen und beorderte uns auf einen Parkplatz. Unser Verständnis ließ drastisch nach – allerdings wollte uns das Universum nur kurz warnen: O-Ton des leicht verwirrt dreinblickenden Zöllners (auch er sprach ziemlich perfektes Deutsch): „Was seid Ihr denn?“ – „Pfadfinder“ – verständnisloser Gesichtsausdruck – „Scouts“ – „Ah! Schöne Fahrt!“… und schon war die Kontrolle beendet- hätte das der Kollege davor nicht auch einfach fragen können?
Kroatien 2015